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„Wir schaffen das nicht“

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

mit etwas Wehmut nehme ich Abschied vom politisch aktiven Leben mit diesem MAZ-Artikel. Meine Mandate sind ausgelaufen, ich habe keine mehr angestrebt. Der ruhige Unruhestand kann beginnen. Wird er beginnen? Ich werde immer wissbegierig bleiben, hartnäckig eine Sache verfolgen und mich einmischen, wo etwas schief laufen könnte (nach meiner Meinung, denn ich musste ja auch erleben, dass manche einfache Argumente nicht werten konnten). Ich bin nicht aus der Welt. Ich habe mir vorgenommen, meine Seite weiter zu „füttern“ und würde mich freuen, wenn Sie sie weiterhin gelegentlich anklicken würden.

Ich verbleibe immer noch mit sonnen-energi( E) schen Grüßen Ihre ELKE SEIDEL  und dann die PDF des Artikels von Herrn Steglich, DANKE

„Wir schaffen das nicht“

Elke Seidel aus Beelitz ist das bekannteste Gesicht der Grünen in Potsdam-Mittelmark. Ohne große Begleit-Geräusche ist sie jetzt nach 36 Jahren aus der ersten Reihe verschwunden

Von Jens Steglich

Es gibt Momente im Leben von Elke Seidel, in denen die Zweifel, dass wir Menschen noch die Kurve kriegen, die Oberhand gewinnen. Wenn zum Beispiel Vertreter der Spezies, die sich gern als die Krönung der Schöpfung sieht, vor dem eigenen Wohnhaus Schottergärten anlegen, als ob es dort an Sommertagen nicht schon heiß genug wäre.

Oder wenn Menschen illegal in einem Naturgebiet bei Schäpe (Beelitz) den Damm eines Bibers abbaggern, obwohl der Nager an der Stelle – weit genug von Häusern entfernt – das tut, was nötig ist und bei Regen schnell in Vergessenheit gerät: Wasser in der Landschaft halten. Solche lokalen Ereignisse nähren genauso wie die aus ihrer Sicht schleppende Reaktion auf die großen Welt-Probleme bei ihr inzwischen die Annahme, die nach 36 Jahren vollem Einsatz für eine umweltfreundliche Existenz in diesen Sätzen mündet: „Wir werden die Welt nicht retten. Wir schaffen das nicht.“

Warum nicht? „Wir wissen, dass alles auf diesem Erdball begrenzt ist und wollen uns trotzdem nicht vom ‚unbegrenzten Wachstum‘ und dem Leben, das damit verbunden ist, verabschieden“, sagt sie.

Elke Seidel, die schon in DDR-Zeiten in der Region zu den ersten Umweltaktivistinnen gehörte, hat sich jetzt von ihrem politischen Leben verabschiedet. Die bekannteste Politikerin der Grünen im Landkreis Potsdam-Mittelmark ist ohne große Begleit-Geräusche aus der ersten Reihe verschwunden. Sie ist nicht mehr Kreistagsabgeordnete. Und Stadtverordnete in Beelitz ist sie auch nicht mehr.

Wohlwollende Beobachter und wahrscheinlich auch manche ihrer Kritiker werden spätestens in drei, vier Monaten etwas vermissen. Eine Elke Seidel, die zu Hochform aufläuft, wenn sie Umweltsünden anprangert oder es unfair findet, weil ein unschuldiger Biber büßen musste. Dann sagt sie Worte, aus denen herauszuhören ist, dass sie nicht nur die Stadt- und Kreispolitik gern ändern würde, sondern am liebsten die ganze Welt.

In solchen Momenten klingt ein Plädoyer für mehr Respekt gegenüber Schöpfungen wie den Biber so: „Wir sehen die Natur immer als Hindernis, um vorwärtszukommen. Die Frage ist: Wohin wollen wir eigentlich und wo ist vorn?“

Danach legt sie im Gespräch mit der MAZ noch einen Satz am Telefon nach und zitiert sinngemäß den indischen Freiheitshelden und Vordenker Mahatma Gandhi: „Was macht es für einen Sinn, das Tempo zu erhöhen, wenn man in die falsche Richtung läuft?“

Da ist es wieder – das Bild vom Menschen, der seine Grenzen nicht kennt, der als Raser auf dem Planeten unterwegs ist, das Leben als permanenten Wettkampf sieht und deshalb noch schneller vorwärtsstrebt, ohne zu wissen, was das Ziel ist. Und der in Menschen wie Elke Seidel Hindernisse sieht, die den Sprint zum Hürdenlauf machen und beim schnellen Vorwärtskommen nur stören. Elke Seidel hat das bis heute nicht abgehalten, ihre Grundsätze hörbar zu wiederholen. „Alles auf diesem Planeten ist begrenzt: das Land, der Boden, das Wasser, die Luft, die Ressourcen“, sagt sie. „Arbeiten, leben und wohnen in den Grenzen der Natur – das muss der Mensch erst wieder lernen“, fügt sie noch hinzu und nimmt gern in Kauf, einigen damit auf die Nerven zu gehen.

Was aber macht eine so hartnäckige Kämpferin im politischen Ruhestand? „Ich fahre nicht mehr zu Sitzungen, ich fahre mit Rad in die Natur. Und ich räume mein Arbeitszimmer auf, durchforste die Dokumente meines politischen Lebens und frage mich: Was bleibt davon?“

Eigentlich liegt es in ihrer Natur, sich einzumischen und zu engagieren. Das tut sie seit 36 Jahren. Angefangen hat alles 1988. Elke Seidel ist Ärztin, wohnt in Beelitz und vor ihrer Haustür bekommt sie es mit einem Umweltskandal zu tun. Mit anderen gründet sie die Bürgerinitiative für gesundes Trinkwasser und geht das erste Mal auf die Barrikaden.

Auf dem Gelände des Agrochemischen Zentrums (ACZ) an der Ladestraße am Beelitzer Bahnhof wurden Düngemittel abgeladen und gelagert. „Nur etwa 200 Meter davon war das Wasserwerk entfernt und in dem Umfeld gab es Trinkwasserbrunnen. Der Dreck kam in den Brunnen an“, erzählt Seidel.

Mit anderen Mitstreitern stellt sie die ACZ-Betriebsleitung zur Rede. „Damals mussten zwei Brunnen wegen zu hoher Schadstoffwerte geschlossen werden. Außerdem wurden auf dem ACZ-Gelände Sperrbrunnen errichten, damit das verseuchte Grundwasser in die Gegenrichtung floss – weg vom Wasserwerk“, sagt sie.

Auch danach bleibt sie auf den Barrikaden: Der Übergang von der Mitstreiterin einer Bürgerinitiative zum Mitglied im Neuen Forum in Beelitz ist fließend. Am Ende der DDR ist das Neue Forum eine der wichtigsten Bürgerbewegungen, die die friedliche Revolution im Land maßgeblich anstoßen und die nach ihrem großen Erfolg in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Elke Seidel sitzt für das Neue Forum am Runden Tisch in Beelitz und ist 1989/90 Mitglied der Kommission zur Untersuchung von Korruption und Amtsmissbrauch.

„Es war schon eine wilde Zeit damals“, sagt sie. „Eine, die Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete, die es davor nicht gab und die es in dieser Dimension auch nur für kurze Zeit gab.“

„Als Kommission, die vom Runden Tisch berufen wurde, haben wir das Funkamt in Schönefeld besetzt und stillgelegt und die Militärstaatsanwältin mit dazugeholt, die dann alles versiegelt hat“, erzählt die 76-Jährige. „Das Funkamt in Schönefeld bei Beelitz war das Ohr der DDR. Von dort wurden Telefongespräche abgehört.“

Nach der Wende tritt sie in die SPD ein, zieht schon 1990 für die Partei in die Beelitzer Stadtverordnetenversammlung ein und 1994 für fünf Jahre in den Brandenburger Landtag. Die Zeit in der SPD ist nur ein Zwischenspiel. „Ich war nicht pflegeleicht. Ich habe die erste Studie aus dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schon 1995 ernst genommen und sie in den Landtag gebracht. Hören wollten das damals noch weniger als heute.“ Und: „Ich war schon immer grün“, sagt Seidel, die 2003 zu Bündnis 90/Die Grünen wechselt und dort auch bleiben will, obwohl sie inzwischen Probleme mit ihrer Partei hat. „Seit 1995 wissen wir vom menschengemachten Klimawandel und von den belastenden Veränderungen, die er bringt. Und trotzdem schaffen wird es nicht, dieses zentralistische Energiesystem in etwas Vernünftiges umzuwandeln.

Stattdessen verfallen wir in den nächsten Irrglauben, wir könnten die Probleme mit Wasserstoff lösen“, sagt die Beelitzerin. Und sie könne auch nicht verstehen, wie in Deutschland plötzlich schmutziges Fracking-Gas hofiert werde.

„Das größte Kraftwerk haben wir mit der Sonne am Himmel“, sagt sie. Elke Seidel plädierte nicht nur sehr früh für die Nutzung der Sonnen-Energie, sie handelte auch entsprechend. Im Jahr 2004 gründete sie zum Beispiel die erste Bürgersolar-Anlage in Brandenburg, die auf dem Dach der Beelitzer Solar-Oberschule zu finden ist. Später ist sie Vorsitzende der Arbeitsgruppe Wasser im Kreistag Potsdam-Mittelmark. Die Arbeitsgruppe fordert in einem Abschlussbericht einen anderen Umgang mit Wasser und eine andere Art der Landnutzung. Es geht auch darum, Kreisläufe wieder herzustellen. „Der Bericht ist in der Schublade verschwunden“, beklagt sie.

Beim Durchforsten ihrer Dokumente, die sich im Arbeitszimmer in den mehr als drei Jahrzehnten angesammelt haben, kam sie auch auf die Idee, wichtige Dinge aufzuschreiben – in einem Buch. „Der Arbeitstitel lautet: Was bleibt?“

An die Zeit ohne Sitzungen und öffentliche Debatten gewöhne sie sich langsam, so Seidel, die dann doch noch den Satz sagt, der eine Rückkehr an welcher Stelle auch immer nicht ausschließt: „Man wird sehen, wie lange ich die Ruhe aushalte.“

Quellenangabe: Potsdamer Tageszeitung vom 22.07.2024, Seite 16